Leubrecht hat ein nagelneues Handy

LEUBRECHT HAT EIN NAGELNEUES HANDY

Leubrecht sitzt auf dem Sofa, als die Frau ihren Koffer packt und verschwindet.

„Und bilde dir ja nicht ein, daß du das Kind bekommst, du Versager.”

Das hat schon seine Richtigkeit, denkt sich Leubrecht, als die Tür hinter ihr ins Schloß fällt. Ich würde auch nicht mit einem Versager zusammenbleiben wollen.

Nun allein würde er wohl viel Zeit zum Nachdenken finden. Aber das Nachdenken hatte ihm vorher schon nichts eingebracht. Leubrecht ist fett, und so fühlt er sich auch.

Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, in einen Sportverein einzutreten und es der Schlampe heimzuzahlen. Aber Leubrecht ist ein Mensch ohne Energie.

Die Frau dagegen ist ein schöner Mensch. Ihr Neuer nicht. Aber der hat einen Job, einen gut bezahlten. Leubrecht hat keinen. Er hat gekündigt.

Eines Abends hatte er plötzlich Magenschmerzen bekommen, bei dem Gedanken am nächsten Morgen wieder aufstehen zu müssen. Also blieb er liegen.

Nach drei Tagen wollte er sich etwas Besseres einfallen lassen. Er schrieb einen Brief. Er hatte noch nie einen Brief geschrieben. Er schrieb, er sei elendlich krank – und strich alles wieder durch. Dann wieder schrieb er: das Wetter ist schön und ich fühle mich scheiße, und malte eine Wolke darüber mit einer Sonne, die nicht als solche zu erkennen war. Er zerknüllte das Papier und begann von neuem: IHR KÖNNT MICH ALLE MAL AM ARSCH LECKEN. ICH KANN NICHT MEHR.

Er hatte einen Verwaltungsjob gehabt, bei dem viel Sitzfleisch gefragt war. Am Anfang hatte er eine ordentliche Lehre begonnen als Installateur für Heizung und Sanitär, oder als In-der-Scheiße-Rührer, wie er seinen Job nannte.

Der Meister fand denn auch schnell, daß dieser Leubrecht das Schaffen nicht erfunden habe, und versuchte ihn bereits nach der Zwischenprüfung los zu werden. Was gerade noch einmal abgewehrt werden konnte, da Liesl Leubrecht, an Fett und Durchsetzungskraft ihrem Sprössling bei weitem überlegen, dem Meister ordentlich den Marsch geblasen hat, wie sie sich ausgedrückt hat. Jedenfalls konnte Leubrecht junior seine Lehre als Installateur mit einem Genügend beenden.

Ordentlich die Schnauze voll hatte Leubrecht jetzt vom dem ganzen Gearbeite. Die weite Welt wollte er sehen, keine Scheißhäuser mehr berühren. Dem alten Sprichwort jedoch zufolge, nach dem wer viel frisst, auch dementsprechend viel ausscheidet, verbrachte er einen nicht unerheblichen Teil des Tages an eben diesem Ort.

Genug. Leubrecht fuhr jetzt durch die Welt. Matratzen und Bettwäsche, Federreinigung, Sofortservice. Irgendwie hatte es ihn doch zum Dreck der anderen zurückgezogen. Aber wenigstens kam er jetzt über die Dörfer.

Nicht lange und Leubrecht wollte nicht mehr. Die Einsamkeit drückte auf sein trauriges Herz. Eine Frau musste es sein, diese, genau diese, warum eigentlich nicht jene?

Allerdings war die Auserwählte vom Beruf ihres kugelrunden Männchens zunächst wenig begeistert gewesen. So kam es, dass aus dem fahrenden Wäscher schließlich ein sitzender Beamter geworden war.

Nun hatte der Staat seine schützenden Hände über ihn gebreitet. Und Leubrecht war für Augenblicke glücklich, nicht zuletzt wegen dem geregelten Gehalt. „Junge”, sagte Liesl zu Leubrecht, „das ist eine Lebensstellung, verbock diesmal nix! Sei froh, daß du überhaupt so eine dumme Nuss gefunden hast, die sich mit so einem nichtsnutzigem Habenichts vermählen will. Und mach ihr ja keine Kinder, das gäbe ja eine schöne Brut!”

So herzlich die Ratschläge der gütigen Mutter auch gemeint sein mochten, sie waren umsonst. Das neue Erdenleben machte sich bereits sichtlich bemerkbar. An einem kalten Morgen wurde es in die Welt hinausgebracht.

Leubrecht grübelte und grübelte. Sein Daseinszweck, Mann einer Frau zu sein, war weggefallen. Sein weiterer Daseinszweck, Vater eines gleichmütig gezeugten Kindes zu sein, ist mit ihr zur Tür hinausgegangen. Blieben nur die 125 Kilogramm Lebendmasse Leubrecht übrig, die sich traurig auf dem Sofa wälzten.

Leubrecht machte einige denkerische Exkursionen, wie alles so gekommen ist, wie es gekommen war. Kam aber auf keinen grünen Zweig.

Unterbrochen wurde der Exkurs durch ein herrisch anhaltendes Läuten.

Nein, auch das noch. Mutter Leubrecht stand in der Tür, schlang sich ihrem Fettkloß um den Hals und herzte ihn beträchtlich. Fett an Fett. Von hinten klopfte sie ihm mit ihrem Regenschirm auf den Rücken. „Ach, Junge, mach doch nicht so ein betrübtes Gesichtchen. Ich bin ja ganz froh, daß du die Schlampe losgeworden bist. Jetzt soll nichts mehr zwischen uns sein, mein Gutster.”

Leubrecht ließ alle Liebkosungen zwischen Tür und Angel über sich ergehen. Als ihm seine Mutter auch noch zwischen die Beine fasste und ausrief: „Das gehört sowieso alles mir, mein Junge, habe ich nämlich alles auf die Welt jebracht, jawohl!”, kam ihm die Sache doch insoweit unerträglich vor, daß er seine Mutter an sich vorbei in die Wohnung stieß.

„Hörst du, wenn ich dich mal besuchen komme, will ich nicht wie der letzte Dreck behandelt werden. Merk dir das, ich bin deine Mutter!”

Und während seine Mutter anfing, in der Küche ihren mitgebrachten Kaffee zu kochen, saß Leubrecht wieder einmal auf seinem Sofa, in sich zusammengefallen, den schweren Kopf in die langsam einschlafenden Hände gestützt und überlegte einmal mehr, wie die Übermacht der Frauen auf der Welt zu brechen sei.

Wenn wir sie einfach totschlagen würden, alle miteinander. Ja, wenn jeder mit seiner eigenen Frau anfangen würde, wären wir vielleicht an einem Nachmittag erlöst. Dann würde die Welt allmählich überhaupt aufhören… Habichtartig kreisten die Gedanken, indes der Kaffee in der Küche dampfte.

Leubrecht hat ein nagelneues Handy. Aber niemand ruft ihn an.

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