Steinernes Kreuz

STEINERNES KREUZ

Tief in einem Wald beim württembergischen Ort K. findet man auch heute noch am Wegesrand ein verfallenes steinernes Kreuz, auf dem der Name des einstigen Försters S. kaum mehr zu lesen ist. Im Oktober des Jahres 18** war der verdiente Amtmann einer Bande von Wilderen auf der Spur, die schon seit längerem ihr Unwesen in den umliegenden Wäldern trieb.

Der Umstand, daß die Jagd zu jener Zeit noch immer ein königliches Vorrecht gewesen ist, veranlasste viele verwegene und übermütige Burschen bei Dunkelheit und Morgengrauen mit der Büchse in der Hand auf die Pirsch zu gehen. Legendenbildner und Balladendichter machten später aus diesen Stoffen heldenmütige Verklärungen von der Rebellion gegen die Obrigkeit.

Der eigentliche Grund, warum diese Männer aus dem Volk zur Unzeit durch die Wälder schlichen, ist aber in ihren leeren Mägen zu finden. Für sie war es die einzige Möglichkeit, an das begehrte Fleisch heranzukommen, das sich ansonsten nur die Ausgesuchten schmecken ließen. Für die ortsansässigen Bauern war der Grund noch einfacher. Der Wildbestand ließ sich durch die wenigen Jagden, die Fürsten und Herzöge zu ihrer Lustbarkeit veranstalteten, nicht unter Kontrolle halten. So griffen die Bauern zur Büchse, um ihre Saaten zu schützen.

Obwohl die Wilddieberei eine lange Vorgeschichte hat, die so lang ist wie die Herrschaft der Oberen über die Unteren selbst, kulminierten die Todesfälle im neunzehnten Jahrhundert. So ist das Land übersät mit Gedenksteinen aus dieser Zeit, die von blutigen Begegnungen der Wilderer mit den Forstleuten zeugen, die von ihren jeweiligen Herren strikt dazu angehalten wurden, der grassierenden Wilderei Einhalt zu gebieten. Immer schärfer wurden die Auseinandersetzungen in den Wäldern. Die vielen Todesfälle zeugen jedoch nicht so sehr von einer Zunahme der Wilderei, als vielmehr von den technischen Verbesserungen der Büchsen, die immer treffsicherer wurden.

In jenem Herbst legte sich der Förster S. in jeder Nacht auf die Lauer der Wilddiebe, pirschte durch das Unterholz, lauschte nach verdächtigen Geräuschen. Seit Monaten war er den Wilderen bereits auf der Spur. Doch mehr als die blutigen Reste ausgeweideter Tiere, waren dem Förster bislang nicht zu Gesicht gekommen.

An einem Sonntagabend, nachdem er das bevorzugte Jagdgebiet der Wilderer immer weiter eingekreist hatte, überraschte er mit vorgehaltenem Gewehr drei Männer, die sich an einem frisch geschossenen Hirsch zu schaffen machten. Ohne Widerstand zu leisten hoben die drei ihre Hände und wurden von S. gegen das Dorf geführt.

Mürrisch und mit dessen wachsamen Blick in ihrem Nacken, schritten die drei Gefangenen vor der Büchse des Förster her. Sich mit dem näherkommenden Dorf ihrer beengenden Lage immer bewusster werdend, ergriff einer der Männer einen am Wegrand liegenden Ast, drehte sich blitzschnell um und warf diesen in Richtung des Försters. Ein anderer stürzte auf den Mann zu, entriss ihm das Gewehr und schlug ihn mit dem Kolben ins Gesicht. Der Hund des Försters schlug an und bekam ebenfalls ein Schlag mit dem Kolben ab, er verschwand jaulend im Unterholz. Zu dritt schlugen die Männer schließlich auf den am Boden Liegenden ein. Sicher seines Todes, verlosten sie untereinander seine Besitztümer, die Jagdtasche, das Gewehr und seine Uhr.

Als der Förster benommen und schwer verletzt zu sich kam, war bereits tiefe Nacht über das Waldstück hereingebrochen. Auf allen Vieren schleppte sich der Verwundete in Richtung des Dorfes K. Hoffnung ergriff ihn, als er in der Ferne den Lichtschein einer Laterne sah. Erschöpft blieb er liegen und gab Laut. Als er den Lichtschein immer näher kommen sah, glaubte er sich der Rettung nahe.

Doch wer da des Nachts mit einer Laterne durch den Wald ging, war einer der Wilderer, den die Unruhe aus dem Bett gezerrt und zurück an den Ort seiner ruchlosen Tat getrieben hatte. Als er den Förster entdeckte, schlug er ihm mit einem Knüppel so lange auf den Schädel bis dieser endgültig zu atmen aufgehört hatte. Dann trug er die Leiche auf seinen Schultern ein Stück weiter in den Wald hinein, um ihn an einer uneinsehbaren Stelle notdürftig zu verscharren und mit Ästen und Laub zu bedecken.

Als am nächsten Morgen zwei Forstgehilfen und der Dorfarzt sich aufmachten, den Vermissten zu suchen, fanden sie zunächst nichts. Erst nach mehrstündiger Suche, begegnete ihnen ein winselnder Hund, der sie schließlich zu jener Stelle führte, an dem die Leiche des Försters lag. Für den Arzt blieb nichts mehr zu tun, als sich des verletzen Tieres anzunehmen. Er nahm es mit nach Hause und pflegte den Hund, der alsbald ein treuer Begleiter seines neuen Herrn wurde, gesund.

Bald darauf wurde im Dorf ein Handwerksbursche verhaftet, den man mit einem Beutel aufgegriffen hatte, den man dem Besitz des Försters zurechnete. Der Mann wurde peinlichen Verhören unterzogen, doch der gegen ihn erhobene Verdacht erhärtete sich nicht. So blieb die Tat lange Zeit ungesühnt.

 

Erst Jahre später wurde der Dorfarzt an ein Sterbebett gerufen. Im Zimmer des Schwerkranken schlug der Hund sofort ein lautes Gebell an und war auch durch keinerlei Beruhigung und Zusprechen mehr davon abzubringen. Als der Arzt in das todesbleiche Antlitz des Kranken blickte, war beiden bewusst, worum es sich handelte. Der Hund hatte einen der Mörder des Försters entdeckt. In letzter Stunde legte der Sterbende im Beisein des Pfarrers ein Geständnis ab und gab auch die Namen seiner Mittäter preis.

Die beiden wurden alsbald verhaftet. Einer entzog sich dem Gericht, indem er sich in seiner Zelle erhängte. Der andere wurde mit einer hohen Zuchthausstrafe belegt. Die Familien der Wilderer verschwanden vom Ort, um sich dem Spottgeläut und Rachedurst zu entziehen. Insbesondere von den beiden Kindern des einzig Verurteilten, die irrsinnig geboren worden waren, sprach man im Dorf und der Umgebung als einer gerechten Strafe Gottes, die die Familie ereilt habe. An der Stelle, an der der Förster ermordet wurde, ließ dessen Familie ein steinernes Kreuz errichten.

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